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Mittelschule, die vernachlässigte Schulform

Am 19. November erreichte uns folgende Pressemitteilung aus dem Kultusministerium:

„Stark für den Beruf – stark im Wissen – stark als Person: Die bayerische Mittelschule wird 10 Jahre alt.“ – Kultusminister Michael Piazolo und Staatssekretärin Anna Stolz gratulieren der Mittelschule zum 10. Geburtstag

MÜNCHEN. Die Mittelschule feiert ihren 10. Geburtstag. Auf dem Festakt gratulierte Kultusminister Michael Piazolo in der Allerheiligen-Hofkirche und betonte: „Stark für den Beruf, stark im Wissen, stark als Person – dafür steht die bayerische Mittelschule. Sie ist ein echtes Erfolgsmodell!“

Gute Qualifikation kommt an – anerkannte Schulart

Rund 190.000 Schülerinnen und Schüler besuchen heute die Mittelschulen im Freistaat – ein Drittel der jungen Menschen eines Jahrgangs. An gut 900 Mittelschulen bereiten engagierte Lehrerinnen und Lehrer die jungen Menschen auf ihren späteren Beruf, auf die Teilnahme in der Gesellschaft und auf ihren persönlichen Lebensweg vor. Für ihre Leidenschaft und ihr Engagement sprach Piazolo der gesamten Schulfamilie seinen Dank aus.

„Die gute Qualifikation unserer Absolventinnen und Absolventen kommt bei den regionalen und überregionalen Ausbildungsbetrieben bestens an“, so der Minister. Die hohe Anerkennung der bayerischen Mittelschule von Seiten der Handwerks- sowie der Industrie- und Handelskammern führt Piazolo insbesondere auf die umfassende Berufsorientierung an den Schulen zurück. So können Schülerinnen und Schüler frühzeitig durch Praktika, durch Kooperationen mit Betrieben, Berufsberatung und im Unterricht selbst ihre Begabungen und Talente erkennen, erproben und entwickeln.

Starke Angebote überzeugen – vielversprechende Perspektiven

Die starken Angebote der Mittelschule spiegeln sich auch im vielfältigen Programm des Festakts wider. Schülerinnen und Schüler der Mittelschule präsentieren ihr Engagement in einer Schülerfirma oder ihr technisches Können in einer Robotic AG. Zugleich bereichern sie mit ihren musikalischen und künstlerischen Einlagen die Jubiläumsfeier, von Samba-Reggae über einen Schwarzlichttanz bis hin zum Bläserkonzert. Die persönlichen Erfahrungen von ehemaligen und jetzigen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften der Mittelschule sind Thema zweier Podiumsgespräche. Dazu betont Staatssekretärin Anna Stolz bereits im Vorfeld der Veranstaltung: „Der erfolgreiche Abschluss an einer Mittelschule bildet ein sicheres Fundament, auf dem junge Menschen ihre Zukunft aufbauen können. Ihnen eröffnen sich verschiedene, vielversprechende Perspektiven – sowohl mit einer dualen Ausbildung als auch mit einer Weiterbildung nach dem qualifizierenden Abschluss. Denn unsere Mittelschule setzt auf ein breites Bildungsangebot mit dem besonderen Fokus auf der Berufsorientierung.“

Die bayerische Mittelschule – ein Erfolgsmodell

Durch die konsequente Weiterentwicklung der Hauptschule entstand 2009 das erfolgreiche Modell der bayerischen Mittelschule. Neben dem 10-jährigen Bestehen kann die Mittelschule heuer gleich mehrere Jubiläen feiern – von der Gründung der Hauptschule vor 50 Jahren über die Einführung der 10. Klasse vor 25 Jahren bis hin zur Einrichtung des M-Zugs vor 20 Jahren.“

Wow. Das muss man erstmal hinbekommen. So viel Lob für eine massiv vernachlässigte Schulart.
Wir stimmen der Pressemitteilung nur bei folgenden Wörtern zu: „engagierte Lehrerinnen und Lehrer“. Die Mittelschule funktioniert nur so gut, weil Schulleitungen, Lehrkräfte und Schüler hochengagiert sind. Das Kultusministerium vergisst wohlweißlich, dass die Mittelschule massiv unter Lehrkräftemangel leidet, viele AG-Stunden deshalb nicht mehr stattfinden können, Klassen zusammengelegt werden, die gebundene Ganztagschule keinesfalls im angedachten Konzept funktioniert und die Mittelschule nun auch noch durch den früheren Beginn der Wirtschaftsschule ab der 6. Klasse unterlaufen wird.
Nur als Beispiel die gebundene Ganztagschule herausgegriffen. Hier wurden ursprünglich 19 Lehrerstunden pro Woche zusätzlich versprochen, inzwischen werden 12 Lehrerstunden pro Woche zusätzlich zugesprochen. Das führt dazu, dass Lehrkräfte inzwischen kaum noch Lern- und Studierzeit begleiten, geschweige denn mit ihren Schüler*innen zusammen mittags essen. All das war einmal Bestandteil des Konzepts einer gebundenen Ganztagsschule. Auch der Ausbau der gebundenen Ganztagsschule schleppt sich dahin. Bevorzugt wird definitiv der offene Ganztag, doch das hilft den Kindern und Jugendlichen kaum.
Besonders ärgert uns die Lobeshymne auf die Berufsorientierung ab der 7. Klasse. In der 7. Klasse sind die Schüler*innen zwischen 12 und 14 Jahre alt. Sie sollen wissen was sie beruflich machen wollen? Mitten in der Pubertät? Wohl kaum.
Es muss auch hinterfragt werden, warum Mittelschüler*innen im Normalfall nur neun Jahre an einer Schule unterrichtet werden dürfen? Müssten nicht vielmehr alle Mittelschüler*innen bis zur 10. Klasse in der Schule bleiben und alle die Prüfungen für den Mittleren Bildungsabschluss ablegen? Wäre das nicht fair für unsere Kinder und Jugendlichen, deren Potential vom Kultusministerium vollkommen verkannt wird und das nach wie vor an der Selektion in gute und schlechte Schüler*innen festhält?
Der Nürnberger Elternverband betont zum wiederholten Male die Forderung alle Kinder zusammen länger gemeinsam, z.B. bis zur 10. Klasse, zu unterrichten. Danach wählen die einen den Weg zum Beruf und die anderen den Weg zum Abitur. Dies ist für den Nürnberger Elternverband der einzige Weg, der Chancengleichheit beinhalten kann.
Trotzdem bedanken wir uns und gratulieren wir den Lehrkräften, die es geschafft haben in der Mittelschule zehn Jahre lang durch unglaublich hohes Engagement zu unterrichten und viele Schüler*innen intensiv begleitet haben. Dabei werden sie schlechter bezahlt als Realschul- und Gymnasiallehrkräfte.